Zum Inhalt springen
Startseite » Gut schlafen » Zu müde, um einzuschlafen: Ein Paradoxon der modernen Zeit?

Zu müde, um einzuschlafen: Ein Paradoxon der modernen Zeit?

Es ist spät am Abend. Lisa sitzt auf ihrem Sofa, die Augen schwer, der Körper erschöpft – ein klarer Fall von Schlafmangel. Sie sollte längst im Bett sein, doch etwas hält sie wach. Lisa ist zu müde, um einzuschlafen. Ein Paradoxon, das immer mehr Menschen erleben. Aber kann man wirklich so müde sein, dass der Schlaf nicht kommen will?

Lisas Fall: Müde, aber rastlos

Lisa, 35, arbeitet als Marketingmanagerin in einem Berliner Start-up. Ihr Alltag ist hektisch: ständige Meetings, enge Deadlines und ständige Erreichbarkeit. Abends, wenn sie endlich zur Ruhe kommen könnte, fühlt sie sich ausgelaugt und erschöpft. „Ich habe das Gefühl, dass ich nur noch funktioniere“, sagt sie. „Doch wenn ich ins Bett gehe, liege ich stundenlang wach. Ich bin zu müde, um einzuschlafen.“ Lisa ist kein Einzelfall. Viele Menschen berichten von ähnlichen Erlebnissen: eine überwältigende Erschöpfung und dennoch die Unfähigkeit, in den Schlaf zu finden.

Was steckt dahinter? Experten klären auf

Um das Phänomen zu verstehen, haben wir mit Dr. Miriam Scholz, einer Schlafforscherin der Berliner Charité, gesprochen. Sie erklärt: „Es mag widersprüchlich klingen, aber ja, es ist möglich, so müde zu sein, dass man nicht einschlafen kann.“ Der Zustand, in dem der Körper und der Geist vollkommen erschöpft sind, gleichzeitig aber der Schlaf ausbleibt, hängt oft mit einer Überreizung des Nervensystems zusammen. „Wer ständig unter Druck steht oder lange Stress ausgesetzt ist, bei dem bleibt das Nervensystem im Alarmzustand – selbst dann, wenn der Körper sich nach Erholung sehnt“, erklärt Scholz.

Schlaflos durch Stress und Überforderung

Stress ist einer der Hauptfaktoren, der Menschen in diesen Zustand versetzt. Die ständige Aktivierung des Sympathikus, dem Teil des Nervensystems, der für die „Flucht-oder-Kampf“-Reaktion verantwortlich ist, hält den Körper in Bereitschaft. „Der Körper produziert vermehrt Stresshormone wie Cortisol, die uns wachhalten, selbst wenn wir körperlich erschöpft sind“, sagt Scholz. „Dieser Zustand ist vergleichbar mit einem Auto, das auf Hochtouren läuft, obwohl der Tank leer ist.“

Auch Prof. Stefan Kunze, Neurologe und Schlafmediziner, bestätigt diese Verbindung zwischen Erschöpfung und Schlaflosigkeit: „Wenn Menschen extrem müde sind, erwartet man, dass sie problemlos einschlafen. Doch das Gehirn kann in einen Zustand übergehen, in dem es so stark aktiviert ist, dass es nicht mehr zur Ruhe kommt.“ Dies sei ein typisches Merkmal von Menschen, die unter Burnout oder chronischer Erschöpfung leiden. Die Übermüdung blockiert die natürlichen Mechanismen des Einschlafens, und der Körper bleibt in einer Art „Wachstarre“.

Schlafentzug als Teufelskreis

Schlaflosigkeit verstärkt den Teufelskreis. Schlafmangel macht uns nicht nur müder, sondern führt auch zu einer erhöhten Produktion von Stresshormonen. Das wiederum verstärkt die Unfähigkeit, sich zu entspannen. Die Gedanken beginnen zu kreisen: „Warum kann ich nicht schlafen?“, „Ich muss morgen fit sein!“ – Gedanken, die den Schlaf weiter hinauszögern. „Menschen, die unter chronischem Stress stehen, entwickeln oft eine Schlafangst“, sagt Dr. Scholz. „Das bedeutet, sie fürchten die Schlafenszeit, weil sie sich nicht entspannen können.“

Gibt es Auswege?

Die gute Nachricht ist: Es gibt Möglichkeiten, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Dr. Scholz empfiehlt Techniken wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen, um den Körper und das Nervensystem zu beruhigen. „Oft hilft es auch, eine feste Schlafroutine zu etablieren“, rät sie. Das bedeutet, jeden Tag zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und aufzustehen – auch am Wochenende. „Der Körper liebt Regelmäßigkeit, und eine konstante Schlafenszeit signalisiert dem Gehirn, dass es Zeit ist, abzuschalten.“

Prof. Kunze ergänzt: „Wenn der Stress das Hauptproblem ist, sollten Betroffene darüber nachdenken, Stressabbau in den Alltag zu integrieren. Das kann durch Bewegung, Meditation oder das gezielte Setzen von Grenzen im Berufsleben geschehen.“

Lisas Lösungsweg

Für Lisa war es ein langer Weg, den Teufelskreis aus Erschöpfung und Schlaflosigkeit zu durchbrechen. Sie begann mit regelmäßigen Yoga-Sitzungen und versuchte, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. „Ich habe auch gelernt, mein Handy abends auszuschalten und nicht ständig erreichbar zu sein“, sagt sie. Es hat gedauert, aber inzwischen schläft sie wieder besser. „Es ist ein Prozess, aber ich habe gelernt, mir bewusst Auszeiten zu nehmen.“

Fazit: Ja, man kann zu müde sein, um zu schlafen

Das Phänomen, zu müde zu sein, um einzuschlafen, ist real und betrifft viele Menschen, die unter chronischem Stress oder Überlastung leiden. Doch es gibt Wege, diesem Zustand zu entkommen. Entspannungstechniken, ein regelmäßiger Schlafrhythmus und der Abbau von Stress können helfen, den Körper wieder in Balance zu bringen und den Weg zu einem erholsamen Schlaf zu ebnen.